Auf dem ehemaligen Villengrundstück eines Schöneberger „Millionenbauern“ entsteht in der Hauptstraße das Kaiserliche Postamt. Später als Postamt West bezeichnet, gehören zum Postamt ein von Vorderhaus, Seitenflügel und Quergebäude umschlossener Lichthof. Die repräsentative Backsteinfassade in historisierenden Renaissanceformen drückte den Patriotismus ihrer Zeit aus. Der Entwurf für die Fassade stammt von Postbauinspektor Otto Spalding, der vor seinen Diensten bei der Post mit seinem berühmten Schwager Alfred Grenander ein Architekturbüro unterhielt. Für die Grundrisse zeichnete Regierungsbaurat Louis Ratzeburg verantwortlich. Die Aufgaben des Postamtes waren umfangreich. Schon wenige Jahre später wurde es zu klein und eine Erweiterung war notwendig.
Bau eines Kesselhauses mit einem 40 Meter hohen Schornstein im ehemaligen Garten des Postamtvorstehers. Für den Betrieb einer Rohrpostanlage für das Kaiserliche Postamt waren zwei Dampfkessel notwendig. Später wurde in das Kesselhaus eine Heizanlage eingebaut und ab 1955 eine Abspannanlage. Die Entwürfe für das Kesselhaus stammen vom Kaiserlichen Postbaurat Wilhelm Walter. Obwohl für rein industrielle Zwecke geplant, dringt Walters Sinn für Formensprache durch und so lässt er zwei große halbrunde Fenster, sogenannte römische Thermenfenster einbauen.
Die Entwicklung des Telefons erforderte die nächste Erweiterung: den Bau eines imposanten fünfgeschossigen Fernsprechamtes im Hof. Hier wurde die Vermittlungsstelle Stephan eingerichtet, benannt nach dem Generalpostdirektor des Deutschen Reiches, Heinrich von Stephan (1931 – 1897), der erste Telefonversuche in Berlin ermöglichte. Das Fernsprechamt mit dem eindrucksvollen Saal für die Vermittlung der Gespräche per Hand wurde als Fernsprechamt West bekannt. Rund 200 „Fräuleins vom Amt“ arbeiteten im lichtdurchfluteten Saal mit der beachtenswerten Deckenmalerei, die bis heute erhalten ist.
Der mittlerweile zum Postbaurat beförderte Otto Spalding entwarf ebenfalls die Fassade des Fernsprechamtes West. Der Expressionismus zeichnete sich am Horizont ab und so spielte Spalding mit dem irdenen Baumaterial durch die haptische Anordnung „textiler“ Muster wie Rauten und Schachbrettfriese, um dem massigen Bau mehr Ausdruck zu verleihen. Er setzte weiterhin auf den Ziegelstein als Baumaterial und schaffte es, durch diese Einheit Vielfalt zu erzeugen.
Mit der Einführung von Selbstwahltelefonen wurde der Einsatz einer völlig neuen Technologie notwendig. Pläne sahen daher den Bau des Fernsprechamtes Süd vor, einem neuen Gebäude für Selbstanschlüsse, welches an das Fernsprechamt West grenzt. Darüber hinaus sollten zwei Lücken in der Hauptstraße und in der Belziger Straße geschlossen werden. Doch dazu kam es aufgrund Geldmangels nie.
Umsetzung der Pläne von 1926 und somit Bau des Fernsprechamts Süd für die Selbstwahltechnologie, später Ortsvermittlungsstelle OVSt 781 genannt. Die einheitlichen Fensterreihen geben dem Gebäude eine klare Struktur, seine funktionale Erscheinung passt perfekt für die Unterbringung der technischen Installationen. Von der Belziger Straße aus gesehen, beeindruckt den Betrachter die Formensprache der klaren Linienführung und gerundeten Fenster- und Gebäudeflächen. Der verklinkerte sechsgeschossige Stahlskelettbau gilt Jahrzehnte später als ein Juwel der Neuen Sachlichkeit. Das Gebäude wurde von allen Mitarbeitern der Post- und Telekommunikationsdienste sehr begrüßt, denn das Flachdach erhielt eine Dachterrasse und einen luftigen Raum für Erholungszwecke.
Erweiterung des Komplexes durch das Postfuhramt West auf dem Gelände zur Belziger Straße hin. Es entstanden eine Tiefgarage, eine Wagenhalle, eine Tankstelle und ein Werkstattgebäude mit verschiedenen Funktionsräumen zwecks Unterhalts der eigenen Fahrzeugflotte. Das Gebäudeensemble befindet auf der Höhe des Keller- und Erdgeschosslevels und wurde ebenfalls als Stahlskelettbau errichtet. Wie auch sein Nachbar beeindruckt das langgestreckte Gebäude durch gerundete Gebäudeenden. Der Architekt für das Fernsprechamt Süd und für das Postfuhramt West war Postbaurat Fritz Nissle.
Der Zugang zum Postfuhramt West befand sich in der Belziger Straße. Alle Einrichtungen waren so angeordnet, dass eine einfache und effiziente Zufahrt möglich war. Der Zugang zum Grundstück wurde überwacht: Alle Fahrzeuge mussten das Pförtnerhäuschen passieren. Auch dieses Gebäude greift die Stilelemente des Werkstattgebäudes mit seinen Rundungen, Fenstern und mehrfarbig gebrannten, sogenannten Lederbrand-Ziegelsteinen, auf.
Während des Zweiten Weltkrieges beschädigten Bombeneinschläge das Postamt Schöneberg. Insbesondere die Schalterhalle und der Briefträgersaal im zweiten Querflügel wurden stark in Mitleidenschaft gezogen. Das Glasdach des Lichthofes wurde völlig zerstört, ebenso einige Dächer. Das OVSt 781 und das Postfuhramt West jedoch überstanden den Krieg unbeschadet.
In den nachfolgenden Jahrzehnten wurde der gesamte Komplex mehrfach verändert und umgebaut.
Der Handvermittlungs-Saal des ehemaligen Fernsprechamts West wurde von den Bediensteten der Telekom und des Fernmeldeamtes als Kantine genutzt.
Die Post stellt von analoger auf digitaler Telekommunikationstechnik um. Das hatte große Umbaumaßnahmen zur Folge. Diverse Relaisräume wurden plötzlich nicht mehr benötigt. Sie standen zunächst leer, wurden dann in Büros umgewandelt.
Das gesamte Areal des ehemaligen Post- und Telekommunikationskomplexes zwischen der Hauptstraße und der Belziger Straße wird vom Landesdenkmalamt Berlin als Baudenkmal anerkannt und in der Landesdenkmalliste zweifach unter „Fernsprechamt Süd“ und „Postamt Hauptstraße 27“ geführt.
Die Transformation hat begonnen: BRICKS Berlin Schöneberg, wie der Komplex seit 2014 heißt, wurde von Trockland erworben. Eine umfassende und behutsame Sanierung der denkmalgeschützten Bestandsgebäude folgte. Die Idee der alten Pläne zur Lückenschließung wurde aufgegriffen. Nach über 80 Jahren werden die Leerstellen im Stadtbild der Hauptstraße und der Belziger Straße durch zwei Neubauten nunmehr geschlossen. Der Backstein als verbindendes Element von Zeit und Architektur steht dabei weiterhin im Mittelpunkt. Und ermöglicht so die Umwandlung eines Postgroßbetriebes in ein zeitgenössisches und lebendiges Stadtquartier - mit einem umfassenden Postbetrieb.